Der Einsiedler

Er nannte sich «der Einsiedler», obwohl er weder besonders abgeschieden lebte noch kontaktscheu war. Seine Botschaften verbreitete er mittels Sprachnachrichten, die er auf unsere Mobiltelefone sandte – wobei ich mir heimlich wünschte, der einzige Empfänger seiner Nachrichten zu sein. Er wohnte auf einer Flussinsel, die von beiden Ufern aus bequem über eine Brücke zu erreichen war. Tagsüber sass er an einem offenen Feuer, Würste brätelnd, und schwatzte mit Passanten. Nachts zog er sich in sein löchriges Zelt zurück. Seine Nachrichten bestanden aus kurzen, klaren Sätzen, die uns zur Erledigung von bestimmten Aufgaben drängten. Die Aufgaben waren zwar nie unlösbar, doch sie benötigten zuweilen Zeit. So leitete er mich einmal dazu an, eine Spinne zu fotografieren, die sich nur in einem kleinen Teil des alpinen Raums und zu bestimmten Tageszeiten zeigte, sodass ich sie erst nach vier Tagen vor die Linse bekam. Ein andermal sollte ich ein Videospiel durchspielen, an dem schon viele gescheitert waren. Nachdem ich zehn solcher Aufgaben geschafft hatte, bat er mich auf seine Insel und erwähnte dabei ein magisches Schwert, das ich mir verdient hätte. Mit einer nie gekannten Aufregung machte ich mich auf den Weg zur Insel. Dort angekommen, fand ich tatsächlich das Schwert, das golden schimmernd neben dem Feuer lag.  Der Einsiedler schien jedoch verschwunden. Einen Tag und eine Nacht wartete ich neben dem Zelt, bis mir ein unbestimmtes Gefühl sagte, dass er nicht mehr auftauchen würde. Ich hob das Schwert auf und stocherte damit in der erkalteten Asche herum. Wenn er nicht mehr war, würde ich wohl seinen Platz einnehmen müssen.

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